Nachwort zum Idäischen LichtMit seinem Gedichtband »Idæisches Licht« evoziert Uwe Lammla ein geistig-emotionales Mittelmeerpanorama, das mittels der eindringlichen Sprachkraft und der tiefwurzelnden Bildung des Autors in sinnlichem Charme gleichzeitig leuchtet und klingt, Düfte aufsteigen läßt, aber auch viel menschliche Wärme ausstrahlt und die verschiedenen Landschaften und ihre Ausstattung haptisch macht. Lammlas Dichtung spricht in dieser komplexen Weise alle Sinne seiner Leser an, weckt Emotionen und fordert dabei gleichzeitig Verstand und Reflexionsfähigkeit wie auch das Wissen des Lesers heraus. Ich bin mir sicher, daß diese Verse in so manchen Wendungen und Bildern einen jeden Leser immer wieder aufs Neue überfordern. Anfängliche Überforderung ist aber eine Herausforderung für den Rezipienten, eingehender um das Verstehen dieser Texte zu ringen. Insofern sind diese Gedichte, und mögen sie am Anfang noch so hermetisch klingen, lohnende Objekte eines geistvollen Spiels. Die anfängliche Rätselhaftigkeit eines Gedichts macht oft seinen Reiz aus, sie wehrt die schnelle und flüchtige Vereinnahmung ab und gibt vielen Wörtern ihren semantischen Wert zurück, indem sie den Leser zum Nachdenken und zur Vergewisserung zwingt.Ich will nicht die zeittypische und in jedem Fall zu oft gestellte Frage anschneiden, was uns dieses Buch bringt, sondern darüber sprechen, wohin uns seine Lektüre führen kann. Schon beim ersten Blättern in diesem Gedichtband wird deutlich, daß von dem alle und jeden einschließenden und vergesellschaftenden »uns« nicht die Rede sein. Der Gedichtband ist zutiefst elitär und somit nicht an das breite ungebildete Publikum gerichtet, dem heute nahezu alle Sendungen im Fernsehen und die auf der Gauklerbühne des Politgeschäftes agierenden mittelmäßigen Schauspieler und Hanswurste huldigen. Dessen ist sich Lammla völlig bewußt und spricht es in seinem Gedicht »Dichterlos I« auch unumwunden aus. Allerdings relativiert er diese Feststellung noch im gleichen Satz, indem er anzweifelt, daß unsere Zeit unter diesem Aspekt tatsächlich etwas Besonderes ist und daß zu anderen Zeiten Kultur und Dichter höher im Kurs gestanden haben: »Mein Lied, dies werden keine guten Zeiten, | ob andre besser warn?«. Ich glaube nicht, daß ich Lammla in diesem Punkt voll zustimmen kann. So manche unserer Zeitgenossen sind angestrengt bemüht,noch unerreichte Gipfel der Kulturverachtung zu erreichen. Lammlas Gedichte sprechen nur den an, der die Mühen, sich bilden zu lassen und sich selber zu bilden, ertragen hat, denn der Dichter ist ein »poeta doctus«. Das heißt nicht, daß er trockene Gelehrsamkeit vor uns ausbreitet oder gar mit seinen Kenntnissen protzen will, mag auch die breite geistlos Masse seine Verse »für Eitelkeit und Grillen« (»Dichterlos II«) halten. Er hat sich freigemacht von den Zwängen, Anerkennung zu finden, und damit Dichter-Freiheit gewonnen, die nur auf das hört und allein auf das ausgerichtet ist, was Bedeutung hat. Und wie für Hölderlin die Dichter frei sind wie Schwalben, hängt sich Lammla an die vielgestaltigen Vogelzüge, die ihn mit der Traumwelt, d.h. mit der göttlichen Offenbarung, in Verbindung bringen (»Dichterlos II«). Es sind keine banalen Lieder – wie sie uns etwa über den Stern des Touristendomizils Mykonos im Ohr klingen, sentimental »getextet«, keß vorgetragen – die in diesem Buch über griechische Inseln gesungen werden, sondern es ist eine Dichtung, die, wie Plutarch einmal die Orakel des Apollon charakterisiert hat, es nicht platt herausschreit, es aber auch nicht verbirgt, sondern andeutet. Die Mittelmeerwelt Lammlas und die mit ihr verbundene Kultur ist ein dem Menschen geschenkter wie auch verbindlich gesetzter göttlicher Entwurf, ein »zeitloses Muster« für einen sinnlich-rationalen Lebenszuschnitt, d.h. für wahres Menschsein. Insofern ist das Mittelmeer in wahrstem Sinne Archipelagos bzw. Urmeer: »Zeitlos muß das Muster gelten, | Das mit dieser See gelang« (»Mittelmeer«). Nahezu alle Werte und Gestalten unserer abendländischen Kultur sind dort schon einmal gedacht worden. Führer durch die Mittelmeerlandschaft sind die Legende, der Mythos, und der Traum. Sie beide führen zur Klarheit. Aus ihnen sind die Grundlagen menschlichen Lebens und Handelns eruierbar. »Denn dein Licht ist die Legende | Und dein Traum das Mittelmeer.« Aber die »frohe Botschaft« des Mittelmeers ist nur ein Angebot, nicht missionierend, wie es später das Christentum und der Islam sind: »Denn das Glück, das sie ersannen, galt nicht einem fremden Heil«. Auf das Hier und das Jetzt ist diese Welt ausgerichtet. Göttliches wird dort noch sichtbar und faßbar, sei es daß ihre Wirkkräfte im Ölbaum der Athena, in den weisenden Sternen der nothelfenden Dioskuren oder in dem auf den Wogen thronenden Schaum der Aphrodite epiphan werden. Das Mittelmeer ist der eigentliche Dioskurenstern für den sehenden und verstehenden, den gebildeten Menschen, und am Ende kann es ihm wie nichts anderes in seinem Leben zum Leuchtturm werden und Orientierung schenken. Es geht in diesem Buch um das Verstehen des eigenen Menschseins in der Konfrontation mit einer uns geschenkten einmaligen Kulturwelt, die nicht nur als vorbildhaft dargestellt wird, sondern mit allen ihren Höhen und Tiefen erfaßt wird, aber in fast allem als groß und bedeutend erkennbar ist. Nur wer die Mühe historisch-kultureller Spurensuche gelernt hat, wird verstehen, was selbst die kleinen Gegenstände wie etwa Rosmarin, Diptamdost oder Steineiche uns Großes zu sagen haben. Das ist ein ganz anderes Mediterraneum als das der billigfliegenden vulgären Urlauberströme, des übersättigten villenbesitzenden Jetsets und der verzweifelten, Wohlstand erzwingen wollenden Flüchtlinge aus den Heimstätten oft selbstverschuldeter Armut, die über jenes Meer kommen – dreier ganz unterschiedlicher Gruppen, die zwar alle Ziele im Mittelmeerraum ansteuern, aber nichts mit seiner Kultur im Sinne haben und so letzten Endes orientierungslos sind und heimatlos bleiben werden. Der Dichter ist das Sprachrohr des Mediterraneums. Doch kann er dem Maler gleich nur aquarellieren. Der bildende Künstler mag zwar ein Ziel der Darstellung haben, muß aber dennoch sich dem Verfließen der Farben, d.h. der Wirkkraft des Wassers, überlassen. Er treibt voran und ist doch ein Getriebener. Damit vergleichbar ist das Wirken des Dichters, der in Lammlas Gedichten als Sprachrohr Gottes verstanden wird. Seine Tätigkeit ist die Wiedergabe von Träumen, d.h. von Gott dem Menschen Eingegebenen. Deshalb heißt es im »Idæischen Licht«: »Und der Dichter treib | Tief im Traumgeflecht.« Bodenhaftung, Verhaftung mit dem Land um das Meer der Mitte ist unabdingbar. Der Dichter ist wie jener dodoneische Orakelpriester, der sich seine Füße nicht waschen durfte, um nicht seine Verbundenheit mit der Erde zu zerstören. In dieser Welt empfängt er seine Träume, in dieser Welt besteht noch eine Verbindung mit dem Göttlichen, wofür der Dichter dem Himmel dankbar sein muß: »Was als Frucht sich hob, | Weih dem Himmelsherrn, | Der die Bilder schuf | Und begabt mit Schau, | Seines Reiches Lob | Gib im Herz und gern, | Denn der Traum-Beruf | Liebt das Himmelblau.« Im Mittelpunkt des lammlaschen Archipelagos liegt Kreta. Lammla begreift es als Ursprung der mediterranen Kultur, als ihre erste gültige Ausformulierung, die später die Griechen adaptiert und weiterentwickelt haben. So konstatiert er im »Minoischen Traum«, »daß wir fiebernd minoische Nachkommen sind.« Vom Ida her kommt, wie es im »Idæischen Licht« heißt, der Traum überm Mittelmeer, d.h. die göttliche Inspiration für die Menschen. Kreta ist das Füllhorn der Amaltheia, der Zeus nährenden Ziege oder Nymphe, der ein ganzes Gedicht voller symbolträchtiger wie atmosphärisch überwältigender Bilder gewidmet ist. Kreta steht für eine einfache und dennoch reiche Welt des ursprünglichen Lebens, ursprünglich in dem Sinne, daß die griechische Mittelmeerkultur wesentlich von Kreta geprägt wurde, ursprünglich aber auch, weil diese Welt wie am ersten Tag der Schöpfung den Göttern, der Natur und dem arkadischen, selbstgenügsamen Leben noch so nah ist. Die Mittelmeerkultur, das stellt Lammla gleichfalls heraus, ist auch eine Kultur des Krieges. In dieser Hinsicht fällt Sparta eine führende Rolle zu. Der Dichter verherrlicht – etwa in den Gedichten »Polemos« oder »Glückliches Lakedaimon« – nicht den Krieg, aber er erkennt ihn als kulturhistorische Größe, wenn nicht gar als Weltnotwendigkeit; er hält ihn im Heraklitschen Sinne für den Austrag der Gegensätze, der erst Welt schafft und faßbar macht. »Freunde und Feind« sind Chiffren für die Gegensätze, die im Krieg sich abgrenzen und durch ihn Dimension, Gestalt und Bedeutung erhalten. Damit rührt Lammla an Erfahrungen, die wir alle gemacht haben und immer wieder machen werden, aber gerne verdrängen. Wer weiß denn heute noch, auf wen er sich verlassen kann und wer seine Freunde und seine Feinde sind. Unsere Zeit tabuisiert die Kriege, auch die, die sie selbst führt. Im Alltag unserer Konsensgesellschaft versuchen so viele von uns, die Gegensätze kleinzureden bzw. zu kaschieren. Dadurch wird die Welt schließlich eingeebnet, banal, im wahrsten Sinne des Wortes platt – oder um es mit einem Fremdwort zu sagen, zu einer Platitüde. In letzter Konsequenz wird sie dadurch verlogen. Mit der Streitkultur ist uns auch die Leidenschaft für eine Sache verlorengegangen. Kann es ohne Streit überhaupt Kultur geben? Dagegen ist es folgerichtig, daß in den Gedichten Lammlas das Licht, insbesondere das idäische – das auch die Vernunft miteinschließt, wenn nicht gar verkörpert – den Krieg ersann, wie es im eponymen Gedicht des Buches steht. Insofern darf der hymnische Preis Spartas nicht wundern oder gar verschrecken. Sparta steht bei Uwe Lammla für den unbedingten Freiheitswillen dieser Welt, die Freiheit von den eigenen Lastern, insbesondere dem Luxus, und die Freiheit von Bedrückern bzw. Feinden. Dieser unbedingte Wille zur Freiheit bis hin zum Hochmut und zur Verachtung anders Handelnder und Denkender hat Sparta Feindschaft eingetragen; weniger entschlossene und konsequente Menschen, die Lammla Sklaven nennt, haben ihn den Spartanern nie verziehen: »Freiheit im Eros gepaart Disziplin | Gegen den Luxus und gegen den Feind, | Hat Lakedaimon kein Sklave verziehn, | Und daß es rein blieb und Hochmut-geeint.« (»Letoai«). Ist Lammla damit dem Mythos »Sparta« aufgesessen, dem der Altertumswissenschaftler Tigerstedt sein voluminöses Werk »The Legend of Sparta in Classical Antiquity« gewidmet hat? Oder setzt Lammla unbequeme historische Wirklichkeit in Poesie um? Wer vermag das schon zu entscheiden? Zu wenig haben die Spartaner sich in die Karten schauen lassen, und zu sehr haben die anderen Griechen und die Geschichtsforscher späterer Zeiten Sparta im Guten wie im Bösen stilisiert. Uwe Lammla gesellt sich mit diesem Gedichtband früheren Literaten zu, die sich mit der Welt des Mittelmeers, insbesondere Griechenlands auseinandergesetzt haben. Ich erinnere nur an Theodor Däubler, Marie-Luise Kaschnitz und Erich Arendt. »Idaeisches Licht« unterscheidet sich von diesen in anderen Zeiten verfaßten und auf ganz unterschiedlichen Ansätzen und Hintergründen beruhenden Dichtungen markant. Welten liegen zwischen dem überaus pathetischen und oft sehr dunklen Werk von Däubler, dem oft archäologisierenden und leicht manieristischen Blick der Kaschnitz und der Satz- und Sinnfetzendichtung Erich Arendts. Deutlich wird das etwa, wenn man Lammlas Gedicht auf die »Nike von Samothrake« mit Arendts Nikegedicht und Kaschnitzens »Nike von Samothrake« vergleicht. Während das 1942 von Kaschnitz verfaßte Sonett aus der »Lichtgestalt« der Siegesgöttin wieder Freude am Siegen und am Sieg gewinnen möchte – dieser Schluß ist im Jahr der Schlacht um Stalingrad geäußert zutiefst befremdlich –, bringt Arendt, der Geschichte Gewalt antuend, die im Meer treibenden Toten von Salamis mit der Samothrakerin in Verbindung. Dagegen gewinnt Lammlas Gedicht dieser weltbekannten Statue im Entrée des Louvre am Ende eine ganz überraschende, aber unschwer nachvollziehbare menschliche Deutung ab und ist in meinen Augen in mancherlei Hinsicht den beiden Vorgängergedichten überlegen. Lammlas Gedichte sind gereimt, aber die Reime klappern und leiern nicht, paaren nicht banale Wörter, sondern ergeben sich, wie ungezwungen, geradezu natürlich sprossend, man könnte auch sagen, in Rilkescher Manier. Die Klangharmonien sind fast nie aufdringlich, binden dennoch und schaffen so Form. Es sind traditionelle Rhythmen und Formen, zu denen dieser deutsche Dichter wieder zurückgefunden hat; problemlos, wie mir scheint, auch für den, der solche Kost schon lange nicht mehr genossen hat. Vielleicht ist dieser Gedichtband ein Hoffnungsschimmer in einer Zeit, in der die Möglichkeit des Totalverlusts weiter Teile der uns tradierten Kultur zumindest aufscheint. In dieser Krisis, wo ein handwerklich oft zu kurz greifender Publizist – dem ich das Prädikat eines Dichters nicht zuerkennen kann, weil er nicht verdichtet, sondern verwässert und auflöst – Homer, den tief im griechischen Geist wurzelnden geistigen Ziehvater der gesamten Antike, aus Unwissen, Wirrnis und Effekthascherei in die Welt des Alten Orients einweisen will, bekenne ich mich gerne mit Uwe Lammla zum »Idæischen Licht« und den wahren Ursprüngen unserer Kultur. Uwe Lammla hat seinen Freund Serge Mangin – jenen großen zeitgenössischen französischen Skulpteur und Wahlmünchener, dem er die Verse seines »Kouros« gewidmet hat – dafür gewinnen können, Aquarelle zu dieser Ausgabe seiner Gedichte beizusteuern. Nicht als ob das bildertrunkene Gedichtbuch noch der Illustration bedürfte! Unter diesem Aspekt sind die Bilder Mangins eine Zugabe, die thematisch Ähnliches und oft Gleiches evozieren, aber auch eine Gegengabe für den den Poeten, ein Antidoron. Ihre Aufnahme in dieses Buch macht sie zu einem Unterpfand der Freundschaft und Seelenverwandtschaft zweier Künstler unserer Zeit. Wie Lammla hat Mangin zeit seines Lebens versucht, die Botschaften des Meers der Mitte in Idealskulpturen – wie Archilochos, Nausikaa und Polemos – umzusetzen und in seinen Porträts, etwa Ernst Jüngers oder des Altkanzlers Kohl, aufscheinen zu lassen. Seine Hände wurden bei allen diesen Schöpfungen, ich bin mir sicher, vom »Idæischen Licht« geführt. Prof. Johannes Nollé < |